Arbeitsrecht | 26.05.2016

BAG: Weihnachtsgeld und Mindestlohn

Das Verhältnis von Sonderzahlungen wie das Weihnachtsgeld und Mindestlohn sorgt immer wieder für Konflikte im Arbeitsverhältnis. Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Grundsatzurteil vom 25. Mai 2016 – 5 AZR 135/16 entschieden, unter welchen Umständen eine Anrechnung solcher Sonderzahlungen auf den Mindestlohn durch den Arbeitgeber vorgenommen werden kann.

Geklagt hat die vollzeitbeschäftigte Mitarbeiterin einer Krankenhaus-Cafeteria aus Brandenburg an der Havel. Sie hatte mit ihrer Arbeitgeberin einen monatlichen Bruttolohn in Höhe von € 1.391,36 vereinbart, was einem Stundenlohn von etwa € 8,00 entspricht. Daneben hatte sich die Arbeitgeberin verpflichtet, der Arbeitnehmerin ein Urlaubs- und ein Weihnachtsgeld in Höhe von jeweils einem halben Monatsgehalt zu bezahlen. Die Sonderzahlungen erfolgten bis Ende Dezember 2014 jeweils zur Jahresmitte und zum Jahresende. Im Streit stand nun, wie sich Weihnachtsgeld und Mindestlohn zueinander verhalten.

Arbeitgeberin hatte eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat getroffen

Noch vor der Anwendbarkeit des Mindestlohngesetzes im Januar 2015 hat die beklagte Arbeitgeberin mit der Belegschaft beziehungsweise dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung geschlossen. Diese regelt, dass die Sonderzahlungen von Januar 2015 an monatlich in Höhe eines Zwölftels des monatlichen Bruttolohns bezahlt werden. Die Klägerin erhielt daraufhin ab Januar 2015 eine monatliche Zahlung von insgesamt € 1.507,31, was einem Stundenlohn von knapp € 8,70 entspricht. Offensichtlicher Hintergrund der Betriebsvereinbarung war der Umstand, dass damit die Lohnuntergrenze des § 1 MiLoG eingehalten wurde, ohne dass es für die Arbeitgeberin zu einer Steigerung der Lohnsumme gekommen ist. Das Mindestlohngesetz wurde für die Arbeitgeberin dadurch „kostenneutral“, denn das Weihnachtsgeld wurde auf den Mindestlohn angerechnet.

Anrechnung verhindert Lohnsteigerung

Hieran störte sich die Arbeitnehmerin aus nachvollziehbaren Gründen. Ihre Hoffnung auf eine Gehaltssteigerung durch die Einführung des Mindestlohns hatte sich zerschlagen. Sie klagte daher auf Zahlung weiteren Lohns. Sie vertrat die Auffassung, dass die Einbeziehung der Sonderzahlungen zur Erreichung der Lohnuntergrenze unzulässig sei. Das Verhältnis von Weihnachtsgeld und Mindestlohn sei ein anderes. Demgegenüber vertrat die Arbeitgeberin die Auffassung, die von ihr vorgenommene Anrechnung sei zulässig. Sie erfülle mit ihr sowohl die gesetzlichen Vorgaben als auch die vertraglichen Pflichten.

BAG zu Weihnachtsgeld und Mindestlohn

Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem gestrigen Urteil zu Gunsten der Arbeitgeberin entschieden.

Der Arbeitgeber schuldet den gesetzlichen Mindestlohn für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde. Er erfüllt den Anspruch durch die im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis als Gegenleistung für Arbeit erbrachten Entgeltzahlungen, soweit diese dem Arbeitnehmer endgültig verbleiben.  … Der nach den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden bemessene Mindestlohnanspruch der Klägerin für den Zeitraum Januar bis November 2015 ist erfüllt, denn auch den vorbehaltlos und unwiderruflich in jedem Kalendermonat zu 1/12 geleisteten Jahressonderzahlungen kommt Erfüllungswirkung zu.

BAG, Urteil vom 25. Mai 2016 – 5 AZR 135/16

Das Bundesarbeitsgericht rückt also die Erfüllungswirkung der Sonderzahlungen in den Mittelpunkt seiner Begründung. Es bestätigt damit eine bereits zuvor angedeutete Auffassung. Im Verfahren 4 AZR 168/10 hatte das BAG über die Anrechenbarkeit einer tariflichen Einmalzahlung auf den tariflichen Mindestlohn zu entscheiden. In seinem Vorabentscheidungsersuchen vom 18. April 2012 an den EuGH erklärte das Gericht:

Für die Entscheidung über diese Frage [der Anrechenbarkeit] kommt es darauf an, wie diese Einmalzahlungen im Hinblick auf die Gegenleistung des Arbeitnehmers zu bewerten sind. … Auch derartige Einmalzahlungen sind nach Auffassung des erkennenden Senats als Entgeltbestandteile anzusehen, soweit die Tarifvertragsparteien damit eine Lohnerhöhung im Austauschverhältnis von Arbeit und Entgelt vornehmen wollten.

Was sagt der EuGH?

Der Europäische Gerichtshof teilt die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts offenkundig.  Nach ihr kommt es entscheidend auf den Entgeltcharakter der in Rede stehenden Zahlung des Arbeitgebers an. In der dortigen Rechtssache C‑522/12, die aus dem oben genannten Vorlageersuchen folgte, entschied der EuGH mit Urteil vom 7. November 2013: Die Einmalzahlung ist auf den tariflichen Mindestlohn anzurechnen und begründete:

Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens ist erstens festzustellen, dass die pauschalen Zahlungen in den Monaten August 2007 und Januar 2008 …, die in einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag … geregelte Gegenleistung für die normale Tätigkeit der betreffenden Arbeitnehmer darstellen. … Nach alledem ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, dass Artikel 3 Absatz 1 Unterabschnitt 1 Buchstabe c der Richtlinie 96/71 dahin auszulegen ist, dass er der Einbeziehung von Vergütungsbestandteilen in den Mindestlohn nicht entgegensteht, wenn sie das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers auf der einen und der Gegenleistung, die er dafür erhält, auf der anderen Seite nicht verändern. 

Vor diesem Hintergrund hatten wir die Entscheidung des BAG zur Frage von Weihnachtsgeld und Mindestlohn erwartet. Aus ihr folgt jedoch, dass Vergütungsbestandteile, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf  die tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt, auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht anzurechnen sind. Die gilt dann auch für vermögenswirksame Leistungen und den Nachtzuschlag nach § 6 Absatz 5 ArbZG.

ps. Lesen Sie auch unseren BLOG

Joachim Muth, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Ihre Nachricht

Ihre Nachricht wurde gesendet. Vielen Dank!

Sie erreichen und auch telefonisch unter +49 721 / 943114-0.

Bitte beachten Sie folgendes: Durch die Zusendung einer E-Mail kommt noch kein Mandatsverhältnis zustande. Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir ohne vorherige Vereinbarung keine Rechtsberatung per E-Mail erteilen können und keine fristgebundenen und Frist wahrenden Erklärungen entgegennehmen. Die Datenübertragung per Internet ist risikobehaftet. Dies sollten Sie insbesondere bei der Übersendung vertraulicher Informationen bedenken. Sollten wir eine E-Mail erhalten, gehen wir davon aus, dass wir zu deren Beantwortung per E-Mail berechtigt sind.