Erbrecht | 14.06.2014

Die Rechtssache Bollacke – Ist Urlaubsabgeltung vererbbar?

Erst 2011 hat das Bundesarbeitsgericht die Frage, ob Urlaubsabgeltung vererbbar ist, verneint. Die Richter am Landesarbeitsgericht Hamm konnten diese Auffassung aber einfach nicht in Übereinstimmung mit europarechtlichen Bestimmungen bringen. Sie haben deshalb ein Verfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof die entscheidungserheblichen Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Dieser hat nun im Sinne der Witwe eines Arbeitnehmers entschieden, der wenigstens 146 Urlaubstage angehäuft hatte, ehe er verstarb. Dessen Antwort war eindeutig:

Luxemburg: Urlaubsabgeltung vererbbar!

Artikel 7 der Richtlinie 2003/88 ist dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, wonach der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ohne Begründung eines Abgeltungsanspruchs für nicht genommenen Urlaub untergeht, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet.“

Oder einfacher formuliert:

Mit dem Tod eines Arbeitnehmers wandelt sich sein Urlaubsanspruch in eine Geldforderung um. Diese Urlaubsabgeltung ist vererbbar.

Es ist der entscheidende Etappensieg für Gülay Bollacke, der Witwe eines im Oktober 2010 verstorbenen Mitarbeiters eines Lebensmittelunternehmens. Sie hat vor dem Landesarbeitsgericht Hamm Urlaubsabgeltungsansprüche ihres verstorbenen Ehemannes in Höhe von insgesamt € 16.000,00 geltend macht. In erster Instanz war sie vor dem Arbeitsgericht Bocholt noch vollständig unterlegen. Die Richter orientierten sich an den Urteilen des BAG vom 24. März 2009 (9 AZR 983/07) und vom 20. September 2011 (9 AZR 416/10). Der Tenor des letztgenannten Urteils lautet:

Endet das Arbeitsverhältnis mit dem Tod des Arbeitnehmers, erlischt zugleich der Urlaubsanspruch. Er wandelt sich nicht in einen Abgeltungsanspruch im Sinne von § 7 Absatz 4 BUrlG um.

Die Witwe ließ sich zum Glück nicht beirren!

Die durch engagierte und kompetente Rechtsanwälte vertretene Klägerin ließ sich trotz dieser vermeintlich eindeutigen Rechtslage nicht beirren. Sie zog vor das LAG Hamm in die Berufung. Sie vertrat weiter die Auffassung, dass sich das Bundesarbeitsgericht im Widerspruch zu Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 2003/88 befände. Die Urlaubsabgeltung sei vererbbar. Das hatten die Richter am LAG Hamm schon früher so gesehen. Diesmal befragten sie den EuGH danach, ob die Richtlinie dahin auszulegen ist, dass sie einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten – sprich der zitierten Rechtsprechung des BAG – entgegenstehe, wonach der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub einfach untergehe, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers ende. Weiter befragten die Richter den EuGH danach, ob dieser Urlaubsabgeltungsanspruch vererbbar sei.

Klare Worte vom EuGH

Für den EuGH scheint es eine klare Sache gewesen zu sein, die er zunächst in seine bisherige Rechtsprechung einordnete:

Er erinnerte an seine ständige Rechtsprechung, wonach der Anspruch jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen ist. Die zuständigen nationalen Stellen dürften ihn nur in den Grenzen umsetzen , die in der Richtlinie 93/104/EG genannt werden.

Außerdem wies er darauf hin, dass einerseits von Artikel 7 der Richtlinie 2003/88 nicht ausdrücklich Abweichungen zugelassen seien. Zum anderen würde diese Richtlinie die Ansprüche auf Jahresurlaub und auf Bezahlung während des Urlaubs als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs behandele.

Schließlich hat der EuGH auf zwei seiner Urteile hingewiesen in denen er bereits festgestellt hatte, dass der Arbeitnehmer im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der damit einhergehenden Unmöglichkeit des bezahlten Urlaubnehmens nach Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie 2003/88 Anspruch auf eine Vergütung hat, um zu verhindern, dass ihm wegen dieser Unmöglichkeit jeder Anspruch auf bezahlten Urlaub, selbst in finanzieller Form, vorenthalten wird (Urteile Schultz-Hoff u. a., EU:C:2009:18, sowie Neidel, C‑337/10, EU:C:2012:263).

Sodann hatte er nur noch zu entscheiden, ob dies für den Fall des Todes des Arbeitnehmers anders zu beurteilen sei. Das Ergebnis: Ein abweichend zu beurteilender Sonderfall liegt nicht vor und auch diese Urlaubsabgeltung war vererbbar.

Die Gründe des EuGH

Der vom Unionsgesetzgeber unter anderem in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 verwendete Begriff des bezahlten Jahresurlaubs bedeute, dass für die Dauer des Jahresurlaubs das Entgelt für den Arbeitnehmer beizubehalten ist. Der Arbeitnehmer muss in dieser Ruhe- und Entspannungszeit das gewöhnliche Entgelt weiterbeziehen.

Um sicherzustellen, dass dieses grundlegende Arbeitnehmerrecht beachtet wird, dürfe der Gerichtshof Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie 2003/88 nicht auf Kosten der Rechte, die dem Arbeitnehmer nach dieser Richtlinie zustehen, restriktiv auslegen.

Voraussetzung für das Entstehen des Urlaubsabgeltungsanspruchs sei nach dieser Richtlinie lediglich, dass zum einen das Arbeitsverhältnis beendet ist und dass zum anderen der Arbeitnehmer nicht den gesamten Jahresurlaub genommen hat, auf den er bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch hatte.

Schließlich sei ein finanzieller Ausgleich in solchen Fällen erforderlich, um die praktische Wirksamkeit des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub sicherzustellen, der dem Arbeitnehmer nach der Richtlinie 2003/88 zusteht.

Würde nämlich die Pflicht zur Auszahlung von Jahresurlaubsansprüchen mit der durch den Tod des Arbeitnehmers bedingten Beendigung des Arbeitsverhältnisses enden, so hätte dieser Umstand zur Folge, dass ein unwägbares, weder vom Arbeitnehmer noch vom Arbeitgeber beherrschbares Vorkommnis rückwirkend zum vollständigen Verlust des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub selbst, wie er in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 verankert ist, führen würde.

Stellungnahme:

Das deutsche Arbeitsrecht ist nicht einheitlich kodifiziert; es gibt kein „Arbeitsgesetzbuch“ und die Arbeitsgerichte sind gezwungen, ihre Entscheidungen auf eine Fülle verschiedener Rechtsquellen zu stützen. Dabei überlagern europäische Richtlinien häufig nationale Regelungen und sind oft – wie auch im vorliegenden Fall – arbeitnehmerfreundlicher als die deutschen Regelungen.

In solchen Fällen haben die nationalen Gerichte das Recht, den EuGH mit der Bitte um Vorabentscheidung über die entscheidenden Rechtsfragen anzurufen. Nach dem Urteil des EuGH vom 4. Juni 2002 – C-99/00 wandelt sich dieses Recht in eine Pflicht des nationalen Gerichts um, wenn es sich um ein oberstes Gericht handelt, gegen dessen Entscheidung die Einlegung eines Rechtsmittels nicht möglich ist. Es wäre also eigentlich schon Sache des BAG im Jahr 2011 gewesen, den EuGH anzurufen, bevor es über die Revision eines Urteils des LAG Hamm entschied, das seinerzeit die Frage:

Ist die Urlaubsabgeltung vererbbar oder nicht?

bereits europarechtskonform bejahte. Zwei Jahre später waren die Richter aus Hamm von der Auffassung des BAG immer noch nicht überzeugt und haben, um dem Risiko einer erneuten Aufhebung zu umgehen, einfach selbst den EuGH angerufen. Dass Hamm dabei Recht behielt, ist kein Rumesblatt für Erfurt.

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