Verkehrsrecht | 07.08.2018

Doppelte Rückschaupflicht – Gilt auch bei Überholverbot!

DER FALL:

Das klägerische Fahrzeug befuhr eine Straße mit angeordnetem Überholverbot.

Beim Abbiegen des klägerischen Fahrzeugs nach links in ein Grundstück kam es zur Kollision mit dem Fahrzeug der Beklagten, weil es in diesem Moment – von hinten kommend – überholte.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger von der Beklagten den Ersatz der ihm unfallbedingten Schäden.

Begründung:

Die Beklagte habe das Überholverbot missachtet.

Infolge des Überholverbots habe die doppelte Rückschaupflicht für den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs nicht gegolten, weil dieser mit einem Überholmanöver infolge des Überholverbots nicht rechnen musste.

Zu Recht?

DIE ENTSCHEIDUNG:

Nicht ganz – das OLG Düsseldorf gibt der Klage nur teilweise statt, weil den Kläger ein 50 % – tiges Mitverschulden an dem Verkehrsunfall treffe.

1.

Es sei zwar zutreffend, dass die Beklagte versucht habe, das klägerische Fahrzeug zu überholen, obwohl ein Überholverbot angeordnet gewesen sei bzw. eine unklare Verkehrslage vorgelegen habe – § 5 Abs. 3 Nr. 2 StVO und § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO. 

2.

Allerdings habe der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs gegen seine doppelte Rückschaupflicht aus § 9 Abs. 1 S. 4, 1. Halbsatz StVO und – damit einhergehend – die hohen Sorgfaltspflichten aus  § 9 Abs. 5 StVO verstoßen.

a.

Die Bestimmung des § 9 Abs. 5 StVO erfordere von dem betroffenen Verkehrsteilnehmer äußerste Sorgfalt.

Sie verschärfe und ergänze die Sorgfaltsanforderungen, die das Gesetz an den Abbiegenden stelle.

Sowohl der Verkehrsteilnehmer, der in ein Grundstück abbiegen wolle, als auch derjenige, der wenden wolle habe diese Absicht durch ein Zeichen rechtzeitig anzukündigen.

Zudem bestehe in beiden Fällen die doppelte Rückschaupflicht, nämlich rechtzeitig vor dem Einordnen und erneut vor dem Abbiegen.

b.

Die doppelte Rückschaupflicht sei im vorliegenden Fall nicht deshalb entfallen, weil ein Überholverbot angeordnet war und § 9 Abs. 1 S. 4, 2. Halbsatz StVO regele, dass die doppelte Rückschaupflicht dann nicht gelte, wenn eine Gefährdung nachfolgenden Verkehrs „ausgeschlossen“ sei.

Die doppelte Rückschaupflicht habe möglichst uneingeschränkt zu gelten, weil sie Unfälle verhüte und stelle keine Überforderung darstelle.

Die Ausnahme des § 9 Abs. 1 S. 4, 2. Halbsatz StVO sei daher eng auf solche Fälle zu beschränken, in denen eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs etwa aus baulichen Gründen ausgeschlossen sei, und nicht schon dann, wenn sie aus rechtlichen Gründen unzulässig sei.

PRAXISHINWEIS:

Die strenge Entscheidung des OLG Düsseldorf ist vertretbar. 

Man kann das betreffend die doppelte Rückschaupflicht aber auch anders sehen, wenn ein Überholverbot angeordnet ist. 

So entschied das 

OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 11.01.2017 – 16 U 116/16: 

Ein Linksabbieger kann von der Verpflichtung zur sog. zweiten Rückschau enthoben sein, wenn ein Linksüberholen im besonderen Maß verkehrswidrig wäre und aus diesem Grund so fern liegt, dass sich der nach links Abbiegende auch unter Berücksichtigung der ihn treffenden gesteigerten Sorgfaltspflicht auf eine solche Möglichkeit nicht einzustellen braucht. 

Ähnlich entschied das 

OLG Naumburg, Urteil vom 25.03.2010 – 1 U 113/09: 

Sowohl ein wendender als auch ein abbiegender Kraftfahrzeugführer, für welchen § 9 Abs. 5 StVO gilt, muss unvorhersehbare Regelwidrigkeiten anderer Verkehrsteilnehmer nicht in seine Überlegungen einbeziehen.

Auch eine erhöhte Betriebsgefahr eines nach links abbiegenden Gespannes kann vollständig hinter dem Verursachungs- und Verschuldensbeitrag des Unfallgegners zurücktreten, wenn diesem ein grobes Verschulden vorzuwerfen ist.

Grob verkehrswidrig ist ein Verhalten, dass sich objektiv als ein besonders schwerer Verstoß gegen eine Verkehrsvorschrift und die Sicherheit des Straßenverkehrs darstellt.

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