Verkehrsrecht | 21.01.2015

Parkplatzunfall: Gilt § 10 StVO analog oder nicht?

Bei einem Parkplatzunfall gilt das aus § 10 StVO abgeleitete Vorfahrtsrecht des fließenden Verkehrs grundsätzlich nicht.

Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich nach dem objektiven Erscheinungsbild des Parkplatzes die verschiedenen Bereiche, z. B. durch bauliche Gestaltung oder Markierungen, in über- und untergeordnete Verkehrsflächen einteilen lassen.

Dies hat das OLG Nürnberg, Urteil vom 28.07.2014, Az. 14 U 2515/14 entschieden.

Der Fall:

In dem zu entscheidenden Fall befuhr die Klägerin mit ihrem Pkw einen um den Parkplatz eines Großmarktes zum Zwecke der Zu- und Abfahrt auf das Parkplatzgelände führenden Fahrweg, in den außerdem die Parkgassen zu den einzelnen Stellplätzen einmündeten.

Als der Beklagte eine dieser Parkgassen verließ und – aus Sicht des Klägers von rechts kommend – auf den Fahrweg einfuhr, kam es im Einmündungsbereich zu einer Kollision mit dem Kläger.

Das  in 1. Instanz zur Entscheidung berufene Landgericht wies dem Beklagten die weit überwiegende Schuld am Parkplatzunfall zu.

Argument:

Der Beklagte habe gegen seine sich aus § 10 StVO ergebenden höchstmöglichen Sorgfaltspflichten verstoßen, der laute wie folgt:

Wer aus einem Grundstück, aus einer Fußgängerzone (Zeichen 242.1 und 242.2), aus einem verkehrsberuhigten Bereich (Zeichen 325.1 und 325.2) auf die Straße oder von anderen Straßenteilen oder über einen abgesenkten Bordstein hinweg auf die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren will, hat sich dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss man sich einweisen lassen. 2Die Absicht einzufahren oder anzufahren ist rechtzeitig und deutlich anzukündigen; dabei sind die Fahrtrichtungsanzeiger zu benutzen.

Zu Recht?

Nein – das OLG Nürnberg ändert das landgerichtliche Urteil ab und verteilt die Schuld am Parkplatzunfall hälftig auf Klägerin und Beklagten.

Anders als vom Landgericht angenommen sei dem Beklagten kein Verstoß gegen die in § 10 StVO normierten Sorgfaltspflichten, sondern lediglich ein solcher gegen das aus § 1 StVO sich ergebende, allgemeine Rücksichtnahmegebot anzuehmen.

1.

Zwar habe gemäß § 10 StVO derjenige Verkehrsteilnehmer, der aus einem Grundstück, aus einer Fußgängerzone, aus einem verkehrsberuhigten Bereich oder von anderen Straßenteilen oder über einen abgesenkten Bordstein hinweg auf die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren wolle, sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sei.

§ 10 StVO gelte aber bei einem Parkplatzunfall nicht ohne weiteres.

Denn was Fahrspuren auf Parkplätzen betreffe, die grundsätzlich nicht dem fließenden Verkehr dienen, sehe die Rechtsprechung bei einem Parkplatzunfall nur ausnahmsweise Raum für eine (analoge) Anwendung des § 10 StVO.

Dies komme nur dann in Betracht, wenn die verschiedenen Bereiche des Parkplatzes sich im Verhältnis zueinander nach dem objektiven Erscheinungsbild als über- und untergeordnete Verkehrsflächen darstellen.

Nur dann, wenn durch bauliche Gestaltung oder Markierung einer bestimmten Teilfläche, etwa einem Zu- oder Abfahrtsweg, ein eindeutiger Straßencharakter zugewiesen werde, seien die angrenzenden Teilflächen, etwa die einzelnen Parkgassen, als insoweit untergeordnete „andere Straßenteile“ i. S. v. § 10 StVO einzustufen.

2.

Nach obigen Maßstäben komme im vorliegenden Fall eine (analoge) Anwendung von § 10 StVO nicht in Betracht.

In der vorzunehmenden Gesamtschau der örtlichen Gegebenheiten auf dem Parkplatz, auf dem sich der streitgegenständliche Parkplatzunfall ereignet habe, sei es nicht gerechtfertigt, dem klägerseits befahrenen Fahrweg einen eindeutigen Straßencharakter zuzuschreiben mit der Folge, dass die auf ihn einmündenden Parkgassen als untergeordnete Verkehrsflächen i. S. d. § 10 StVO zu behandeln seien:

Die Fahrbahnfläche sei durchgehend einheitlich gestaltet.

Fahrbahnmarkierungen, die den Eindruck einer Über- und Unterordnung vermitteln könnten, seien nicht vorhanden.

3.

Im Ergebnis komme also eine (analoge) Anwendung von § 10 StVO auf den streitgegenständlichen Parkplatzunfall nicht in Betracht.

Bei der Abwägung und Zuweisung der Verursachungsbeiträge sei vielmehr einerseits ein Verstoß des Beklagten gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot i. S. v. § 1 StVO, das auf Parkplätzen wegen der häufigen Ein- und Ausparkvorgänge zu einer erhöhten Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme verpflichte, zu berücksichtigen.

Andererseits sei ein Verstoß der Klägerin gegen die aus § 8 StVO sich ergebende Vorfahrtsregel „Rechts-vor-Links“ einzustellen, die auch auf allgemein zugänglichen Parkplätzen gelte.

Dies führe im Ergebnis zu einer Abänderung der landgerichtlichen Haftunsquote zu Gunsten der Beklagten.

Fazit:

Die Entscheidung des OLG Nürnberg überzeugt.

Sie entspricht der obergerichtlichen Rechtsprechung zu der Frage, ob § 10 StVO auf einen Parkplatzunfall anzuwenden ist oder nicht.

§ 10 StVO schützt den fließenden Verkehr auf übergeordneten Straßenteilen und verlangt deshalb von „Einfahrenden“ eine höchstmögliche Sorgfalt ab. 

Auf Parkplätzen ist der Schutzbereich des § 10 StVO regelmäßig nicht eröffnet.

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