Arbeitsrecht | 16.08.2025
Annahmeverzugslohn: LAG Köln urteilt zu Mitwirkungspflichten und „Scheinbewerbungen“
Als Fachanwalt für Arbeitsrecht weiß ich: Auch eine unwirksame Kündigung ist für Arbeitnehmer oft ein Schock. Doch das Arbeitsrecht schützt Betroffene durch den sogenannten Annahmeverzugslohn. Dieser sichert das Gehalt, wenn der Arbeitgeber die Arbeitsleistung nach einer unwirksamen Kündigung nicht annimmt. Ein aktuelles Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln (LAG Köln, Urteil vom 16.05.2024, Az. 7 Sa 78/24) zeigt jedoch, dass Arbeitnehmer hierbei wichtige Mitwirkungspflichten haben. Insbesondere wenn es um die ernsthafte Suche nach einer neuen Stelle geht, kann das Gericht genauer hinschauen.
Was war passiert? Der Fall des Berufskraftfahrers
Im Mittelpunkt des Verfahrens stand ein verheirateter Berufskraftfahrer mit drei Kindern. Er war seit 2015 bei seinem Arbeitgeber als Fahrer für Sattelzüge und Tandemachsanhänger beschäftigt. Nach einer unwirksamen Kündigung klagte er auf Annahmeverzugslohn.
Der ehemalige Arbeitgeber forderte daraufhin Nachweise über Bewerbungsbemühungen. Der Kläger legte Listen mit 40 Vermittlungsvorschlägen der Arbeitsagentur und 65 Eigenbewerbungen vor. Auffällig: Bei 62 der 65 Bewerbungen gab er an, keine Rückmeldung erhalten zu haben. Zudem erwähnte er bei einer Bewerbung proaktiv sein laufendes Kündigungsschutzverfahren – ein Punkt, der später noch relevant wurde.
Während der Zeit des Annahmeverzugs lehnte der Kläger auch Jobangebote im LKW-Fernverkehr und als Fahrer eines Gliederzuges mit Drehschemelanhänger ab. Seine Begründung: Fernverkehr sei mit seinem Familienleben unvereinbar, und für Gliederzüge fehle ihm die notwendige Fahrpraxis.
Das Arbeitsgericht Köln gab der Klage zunächst statt. Der Arbeitgeber legte Berufung ein.
Die Entscheidung des LAG Köln: Warum der Lohn derzeit ausbleibt
Das LAG Köln bestätigte den grundsätzlichen Annahmeverzug des Arbeitgebers. Doch es gab dem Arbeitgeber in einem entscheidenden Punkt Recht: Der Kläger war seiner Auskunftspflicht über seine Bewerbungsbemühungen nicht ausreichend nachgekommen.
Das Gericht stellte klar: Ein Arbeitnehmer ist nach § 242 BGB (Treu und Glauben) verpflichtet, dem Arbeitgeber Auskunft über Form und Inhalt seiner Bewerbungen zu geben, wenn der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran hat. Ein solches Interesse besteht, wenn eine begründete Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass der Arbeitnehmer böswillig anderweitigen Verdienst unterlassen hat.
Die wichtigsten Punkte des Urteils im Überblick:
- Ablehnung von Fernverkehr und Gliederzügen war nicht "böswillig": Das LAG Köln bestätigte, dass die Ablehnung einer Fernfahrertätigkeit angesichts der familiären Situation des Klägers (drei unterhaltsberechtigte Kinder, davon ein Kleinkind) nicht als böswillig einzustufen war. Ein Arbeitnehmer muss sein gesamtes Leben nicht umstellen, um Annahmeverzugslohn zu "sparen". Auch die Ablehnung des Gliederzugs, für den der Kläger keine Fahrpraxis hatte, war nicht böswillig. Er war nicht verpflichtet, auf eigene Kosten eine Fortbildung zu absolvieren.
- Auskunftspflicht bei Verdacht auf "Scheinbewerbungen": Hier lag der Knackpunkt. Die extrem hohe Quote von 62 erfolglosen Bewerbungen in einer Branche mit großem Fahrermangel war für das Gericht ein starkes Indiz. Es drängte sich der Verdacht auf, dass es sich um sogenannte "Scheinbewerbungen" handeln könnte – also Bewerbungen, die nicht auf eine tatsächliche Einstellung abzielen. Auch der Umstand, dass der Kläger sein Kündigungsschutzverfahren proaktiv erwähnte, deutete auf mangelnde Ernsthaftigkeit hin. Eine Person, die ernsthaft eine neue Stelle sucht, würde dies üblicherweise nicht tun.
- Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers: Da der Kläger die detaillierte Auskunft über Form und Inhalt seiner Bewerbungen nicht erteilt hatte, konnte der Arbeitgeber die Zahlung des Annahmeverzugslohns verweigern. Dieses Leistungsverweigerungsrecht (§ 273 Abs. 1 BGB) bedeutet, dass der Anspruch des Klägers auf Annahmeverzugslohn derzeit unbegründet ist, bis er seiner Auskunftspflicht nachkommt.
Was bedeutet das Urteil für Arbeitgeber und Arbeitnehmer?
Dieses Urteil des LAG Köln ist wegweisend und hat wichtige Auswirkungen für die Praxis im Arbeitsrecht.
Für Arbeitnehmer:
- Ernsthafte Jobsuche ist Pflicht: Sie müssen sich im Annahmeverzug ernsthaft um eine neue Anstellung bemühen. "Scheinbewerbungen" können teuer werden.
- Dokumentieren Sie alles genau: Führen Sie detailliert Buch über alle Bewerbungen und deren Verlauf. Das beinhaltet auch den Inhalt der Bewerbung und eventuelle Rückmeldungen.
- Auskunftspflicht nicht unterschätzen: Fordert der Arbeitgeber Auskunft über Ihre Bewerbungsbemühungen, nehmen Sie diese Aufforderung ernst und kommen Sie ihr umfassend nach. Andernfalls riskieren Sie den Verlust Ihres Annahmeverzugslohns.
- Zumutbarkeit ist entscheidend: Nicht jeder Job ist Ihnen zumutbar. Persönliche Umstände wie familiäre Pflichten oder fehlende Qualifikationen können eine Ablehnung rechtfertigen.
Für Arbeitgeber:
- Auskunftsanspruch prüfen: Wenn Sie den Eindruck haben, dass der Arbeitnehmer seine Pflicht zur anderweitigen Jobsuche nicht ernst nimmt, können Sie eine detaillierte Auskunft über seine Bewerbungen verlangen.
- Indizien sammeln: Achten Sie auf Anzeichen für "Scheinbewerbungen", wie eine extrem hohe Zahl erfolgloser Bewerbungen in einem "Arbeitnehmermarkt".
- Leistungsverweigerungsrecht nutzen: Bei unzureichender Auskunftserteilung können Sie die Zahlung des Annahmeverzugslohns verweigern.
Dieses Urteil unterstreicht, dass die Thematik des Annahmeverzugslohn komplex ist und sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer ihre Pflichten kennen und erfüllen müssen.
Haben Sie Fragen zum Annahmeverzugslohn, zu Ihren Rechten oder Pflichten als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer? Kontaktieren Sie mich gerne für eine individuelle Beratung.