Arbeitsrecht | 25.02.2022

Fristlose Kündigung verspätet? Arbeitgeber unter Zeitdruck!

Wenn der Arbeitnehmer fristlos gekündigt werden muss, ist das nie besonders angenehm. Denn es ist etwas vorgefallen, was es dem Arbeitgeber unzumutbar macht, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzuführen. Dennoch darf die Entscheidung und der Ausspruch der Kündigung nicht auf die lange Bank geschoben werden. Das Gesetz setzt dem Arbeitgeber eine knallharte Frist. Wenn er diese Frist versäumt, kann er die fristlose Kündigung meist vergessen. So erging es jüngst einem Arbeitgeber vor dem Landesarbeitsgericht in Stuttgart. Der hatte die fristlose Kündigung verspätet ausgesprochen.

Die gesetzliche Erklärungsfrist für die fristlose Kündigung

Eigentlich ist das Gesetz recht einfach; § 626 Abs. 2 BGB lautet:

Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.

Doch auch diese vermeintlich einfache Formulierung ist immer wieder Gegenstand arbeitsgerichtlicher Entscheidungen. Denn häufig läuft die zweiwöchige Frist schon, bevor der Arbeitgeber oder ein Kündigungsberechtigter Kenntnis von den Kündigungsgründen hat. Der Arbeitgeber muss sich nämlich in bestimmten Fällen, die Kenntnis von Dritten zurechnen lassen. Dafür müssen zwei Voraussetzungen vorliegen:

Einerseits kommt es natürlich auf die Person, die die Kündigungsgründe kennt, an. Es läuft keine Frist, nur weil der Kollege im sieht, wie sein Büronachbar einen unternehmenseigenen Kugelschreiber einsteckt. Das Bundesarbeitsgericht hat zu dieser Person schon in den 1970er Jahren eine Beschreibung entwickelt:

Diese Personen müssen ... eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb ... haben und tatsächlich sowie rechtlich in der Lage sein, einen Sachverhalt - der Anhaltspunkte für eine außerordentliche Kündigung bietet - so umfassend klären zu können, dass mit ihrer Meldung der Kündigungsberechtigte ohne weitere Erhebungen und Ermittlungen seine (Kündigungs-)Entscheidung treffen kann.

BAG, Urteil vom 23.10.2008 - 2 AZR 388/07

Weitere Voraussetzung für die Zurechnung der Kenntnis von Kündigungsgründen ist ein so genanntes Organisationsverschulden. Damit meint die Rechtsprechung, dass der Arbeitgeber auf Grund einer mangelhaften Organisation seines Betriebs erst spät von den Umständen erfährt und deshalb die fristlose Kündigung verspätet ausspricht.

Vertrauliche Informationen aus dem Verteidigungsministerium machten die Runde bei einem Lieferanten

Über was hatte man bei dem Arbeitsgericht Ulm und später in Stuttgart zu entscheiden? Da gibt es ein Unternehmen der A. Group. Es ist unter anderem auf auf militärische Luftfahrt und militärische und zivile Raumfahrtsysteme spezialisiert. Die Bundeswehr ist einer ihrer wichtigsten Kunden und es ist leicht zu erraten, welchen Namen das Gericht in seiner Veröffentlichung mit A. abgekürzt hat. Man kann sich gut vorstellen, dass dort so mancher Mitarbeiter über Informationen verfügt, die nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmt sind. Und deshalb achtet das Unternehmen auch sehr darauf, dass Daten und Informationen zu jeder Zeit mit der ihnen gebührenden Vertraulichkeit behandelt werden.

Im Juli 2018 erfuhr die bei dem Unternehmen zuständige Stelle von einem unsachgemäßen Umgang mit vertraulichen Informationen. Verschiedene Mitarbeiter hatten ein streng geheimes Dokument des Bundesministeriums der Verteidigung vorliegen, die Quelle war unklar. Das Unternehmen startete eine umfassende Untersuchung gegen zehn Mitarbeiter und beauftragte zur Unterstützung eine Rechtsanwaltskanzlei. Es wurden Befragungen durchgeführt, Bürobesichtungen veranstaltet und Festplatten ausgebaut. Insgesamt mehrere 100.000 Dateien wurden anschließend untersucht und das dauerte natürlich einige Zeit. Schließlich sprach das Unternehmen am 27. September 2019 die fristlose Kündigung aus.

Compliance-Untersuchung gegen mehrere Arbeitnehmer "rettet" verspätete fristlose Kündigung nicht

Die gegen die fristlose Kündigung gerichtete Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers hatte Erfolg. Wie das Arbeitsgericht Ulm befand das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, dass die fristlose Kündigung verspätet erfolgt sei. Zu berücksichtigen sei nämlich, dass die Verdachtsmomente gegen den klagenden Arbeitnehmer schon viel früher bekannt gewesen waren. Diese Kenntnis habe ein Herr R. gehabt, der Leiter „Legal and Compliance“. Dessen Wissen hätte sich der kündigungsberechtigte Geschäftsführer "zunutze machen können und müssen". Dass zu diesem Zeitpunkt die Compliance-Untersuchung insgesamt noch nicht abgeschlossen gewesen war, spiele keine Rolle. Das LAG fasst zusammen:

Auch im Falle von Compliance-Untersuchungen gegen eine Mehrzahl von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen läuft die jeweilige Kündigungserklärungsfrist individuell und wird grundsätzlich nicht so lange gehemmt, bis die Untersuchungen gegenüber allen potentiell beteiligten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen abgeschlossen sind.

Urteil vom 3.11.2021, 10 Sa 7/21

Was folgt daraus? Selbstverständlich dürfen Arbeitgeber nicht bei jedem noch so geringen Verdacht Kündigungen aussprechen. Grundsätzlich muss der Arbeitgeber trotz § 626 Absatz 2 BGB die Möglichkeit einer gründlichen Untersuchung haben. Aber er darf eine Compliance-Untersuchung nicht "einfach mal laufen lassen" und den Abschlussbericht abwarten. Vielmehr muss er auch dann Vorkehrungen dafür treffen, dass man ihn ständig über mögliche konkrete Kündigungsgründe unterrichtet.

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