Arbeitsrecht | 28.01.2022

Kündigungsschutz nach Mutterschutzgesetz – 280 Tage vor dem Termin oder doch erst später?

Eine brandaktuelle Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg verleitet zu der Annahme, dass man im Ländle später schwanger wird als anderswo. Mit Urteil vom 1. Dezember 2021 widerspricht das Gericht nämlich ausdrücklich dem Bundesarbeitsgericht. Dort gewährt man werdenden Müttern Kündigungsschutz nach Mutterschutzgesetz bereits 280 Tage vor der errechneten Niederkunft. In Stuttgart liegt einer solchen Annahme kein natürlicher Schwangerschaftsverlauf zu Grunde.

Um was geht es beim Streit um den Beginn des Kündigungsschutz nach Mutterschutzgesetz?

Der Wortlaut von § 17 Absatz 1 Nummer 1 MuSchG ist so knapp wie eindeutig: Die Kündigung gegenüber einer Frau ist unzulässig während ihrer Schwangerschaft. Nun ist die Feststellung einer Schwangerschaft in einem frühen Stadium oft weder leicht noch eindeutig, schon gar nicht für den Laien. Für die Anwendung des Kündigungsschutz nach Mutterschutzgesetz ist die unzweifelhafte Beantwortung der Frage der Schwangerschaft jedoch unverzichtbar. Ohne deren Beantwortung kann ein Richter nicht feststellen, ob eine Kündigung nun wirksam ist oder nicht.

Jahrzehntelange Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts

Seit einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 1966 behelfen sich die Gerichte mit einer Fiktion: Als Grundlage nehmen sie die Prognose des behandelnden Arztes über den voraussichtlichen Entbindungstermin. Von diesem Tag rechnen sie 280 Tage zurück. Erfolgte die Kündigung innerhalb dieses Zeitraums, so greift der Kündigungsschutz nach Mutterschutzgesetz und die Kündigung ist unwirksam. Hat der Arbeitgeber zuvor gekündigt, kann die Kündigung wirksam sein. Der Entbindungstag wird nicht mitgezählt.

LAG Stuttgart: Später schwanger im Ländle?

Mit dieser immerhin 55 Jahre alten Rechtsprechung hat das Landesarbeitsgericht Stuttgart nun gebrochen. Die dortigen Richterinnen und Richter sind allerdings nicht der Meinung, dass die Schwangerschaft dort anders abläuft als im übrigen Deutschland. Vielmehr geht man davon aus, dass der 280-Tage-Fiktion grundsätzlich kein typischer Geschehensablauf zu Grunde liege. Das Gericht beschäftigt sich ausführlich mit den Themen Menstruationszyklus und durchschnittlichem Zeitpunkt der Ovulation und kritisiert ganz offen die Rechtsprechung des BAG. Das wiederum wird von der Argumentation nicht überrascht werden: Es hat selbst eingeräumt, dass mit seiner Berechnungsweise auch Tage in den Schutz einbezogen werden, in denen das Vorliegen einer Schwangerschaft eher unwahrscheinlich ist. Das sei jedoch im Sinne eines effektiven Schutzes der werdenden Mutter erforderlich. Das wiederum will man in Stuttgart nicht gelten lassen: Kündigungsschutz nach Mutterschutzgesetz sollen nur Mütter erhalten; dass sie es sind, müssen sie schon selbst beweisen.

Selbstverständlich hat das Landesarbeitsgericht die Revision nach § 72 Absatz 2 Nummer 2 ArbGG zugelassen. Wir sind gespannt, ob man in Erfurt inzwischen seine Meinung geändert hat.

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