Sportrecht | 11.08.2022

Bundesverfassungsrecht zur Urinprobe von Strafgefangen mit Sichtkontakt. Entscheidung auf Dopingkontrolle im Sport übertragbar?

Die Abgabe von Urinproben zwecks Drogenscreenings bei Strafgefangenen unter Sichtkontakt verstößt nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts gegen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG. Bei erster Lektüre stellt sich mir als Sportrechtler spontan die Frage, ob das Urteil auch Auswirkungen auf die Beurteilung von Dopingkontrollen hat. Der Beitrag ist eine spontane Reaktion auf die gerade veröffentlichte Entscheidung des höchsten Deutschen Gerichts in Karlsruhe.

Dopingkontrolle im Sport
Sportanwalt Dr. Markus H. Schneider, Karlsruhe

Urinproben mit Sichtkontakt bei Häftlingen. Bundesverfassungsgericht (BVG) sieht Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Hat die Entscheidung Auswirkungen auf die Praxis der Dopingkontrolle im Sport ?

Bundesverfassungsgericht zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Zusammenhang mit der Abgabe von Urinproben bei Strafgefangenen

Justizvollzugsanstalten müssen bei Urintests im Rahmen von Drogenscreenings Rücksicht auf das Schamgefühl der Gefangenen nehmen. Es stelle einen erheblichen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar, wenn Justizvollzugsbeamte während der Abgabe des Urins frei auf die Genitalien der Gefangenen schauten, um Manipulationen zu verhindern. Wenn Gefangene dies wünschten, müssten alternative Formen des Drogenscreenings eingesetzt werden, etwa ein Bluttest .

In seiner Pressemitteilung vom 10.08.2022 fasst das Bundesverfassungsgericht seinen Beschluss vom 22.07.2022 wie folgt zusammen:

"Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, die sich gegen fachgerichtliche Entscheidungen richtet, mit denen der inhaftierte Beschwerdeführer bei mehreren zur Feststellung eines Suchtmittelkonsums durchgeführten Urinkontrollen zur Entblößung seines Genitals verpflichtet wurde. Die Urinkontrollen fanden jeweils unter der Aufsicht eines gleichgeschlechtlichen Justizvollzugsbediensteten statt. Die angegriffene Entscheidung des Landgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) folgenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht; die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 19 Abs. 4 GG. Sie werden aufgehoben und die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen."

BVerfG, Beschluss vom 22.07.2022 - 2 BvR 1630/21

Dabei ist der Grund für die Sichtkontrolle durchaus nachvollziehbar. Der Blickkontakt einer Aufsichtsperson soll den Einsatz von Fremd- oder Kunsturin verhindern. Gerne wird in diesem Zusammenhang manipuliert. Der einschlägige Markt ist voll von phantasievollen Methoden. Das geht los bei kleinen, unter der Achsel zu platzierenden Pumpen, die jegliche Fremdflüssigkeit unauffällig in das Urinfläschchen fließen lassen und hört auf bei vor gefüllten Kunstpenissen und vor präparierten Unterhosen, die es ebenfalls ermöglichen sollen, unbemerkt Gesetzeshüter in die Irre zu leiten.

Bedeutung für die Dopingkontrolle im Sport

Nun liegt doch die Überlegung nahe, dass die Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts Auswirkungen die Dopingkontrolle im Sport hat. Da läuft das nämlich aus oben genannten Gründen genauso, nämlich mit Sichtkontrolle. Kein Spaß für Sportlerinnen und Sportler. Die Nationale Anti-Dopingagentur NADA regelt und organisiert die Jagd nach Dopingsündern im Sport. In ihren sogenannten Standards für Dopingkontrollen heißt es zu Beginn noch verheißungsvoll:

ARTIKEL 5 DURCHFÜHRUNG DER PROBENAHME
5.1 Zielsetzung
Die Probenahme ist auf solche Weise durchzuführen, dass die Integrität, Sicherheit
und Identität der Probe gewährleistet ist und die Privatsphäre und Würde des /der Sportler/in wahrt.

In Anhang C Abgabe von Urinproben geht es aber verschärft weiter, wenn es heißt:

C.3.8 Der/Die DCO/Chaperon sorgt für einen ungehinderten Blick darauf, wie die Probe den Körper des/der Athleten/in verlässt, und beobachtet die Probe nach der Abgabe bis sie sicher versiegelt ist. Um einen ungehinderten Blick auf die Abgabe der Probe zu erhalten, weist der/die DCO/Chaperon den/die Athleten/in an, jegliche Kleidung, die den ungehinderten Blick des/der DCOs/Chaperon*s auf die Abgabe der Probe verdeckt, abzulegen oder sie entsprechend zu richten.

Das heißt nichts anderes, dass der Blick auf die Genitalien bei den Athletinnen und Athleten gewahrt sein muss.

Die erste Athletin und der erste Athlet, die sich gegen eine Urinabgabe unter Sichtkontakt wenden, werden für eine gewisse Unruhe bei den Sportverbänden sorgen. Mit Recht, wie ich meine. Meine ohnehin sehr kritische Einstellung zur NADA und zum Umgang mit Sportlerinnen und Sportlern in Dopingangelegenheiten wird durch den Beschluss des BVG nicht milder.

Zwar bewertet sich das Verhältnis zwischen den Sportverbänden und den Sportlerinnen und Sportlern nach zivilrechtlichen und nicht wie im beschiedenen Fall nach öffentlich-rechtlichen Grundsätzen und Grundrechte gelten primär als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat .

Gleichwohl haben die Grundrechte auch Auswirkungen im Zivilrecht und zwar mittelbar über die Generalklauseln oder unbestimmten Rechtsbegriffe. Man spricht in diesem Kontext von der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten im Zivilrecht. Grundrechte haben also im Verhältnis unter Bürgern gleichfalls eine Schutzwirkung. Gerade dann, wenn sich - was im Zivilrecht häufig vorkommt, ungleiche Bürger gegenüberstehen.

Der Sportverband zählt als juristische Person des Zivilrechts zu den Bürgern und hat durchaus eine gewisse Übermacht gegenüber dem einzelnen Sportler und der einzelnen Sportlerin. Prallen in diesem Kontext Interessen aufeinander, müssen diese unterschiedlichen Interessen "im Lichte der Grundrechte" gegeneinander abgewogen werden. Auf der einen Seite steht das Interesse des Sportverbandes auf Einhaltung seiner Regeln, hier der Dopingregeln, die einen fairen und gesunden sportlichen Wettbewerb ermöglichen sollen. Auf der anderen Seite das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Athleten und Athletinnen.

Dopingkontrolle im Sport. Ich bin gespannt, ob die Diskussion aufgenommen wird.

Rechtsanwalt Dr. Markus H. Schneider, Karlsruhe am 11. August 2022

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