Arbeitsrecht | 14.11.2018

Pflicht zur Urlaubsgewährung, echt jetzt LAG Berlin?

Etwas überrascht waren wir im Jahr 2014 über ein Urteil des LAG Berlin Brandenburg aus dem Urlaubsrecht. Es hat einem Arbeitnehmer Abgeltung von Ersatzurlaub zugesprochen, obschon dieser im zuvor abgelaufenen Urlaubsjahr keinen Urlaub beantragt hatte. Grund: Der Arbeitgeber hatte seine angebliche Pflicht zur Urlaubsgewährung verletzt. Vermutlich wird sich diese Rechtsprechung nicht durchsetzen.

Der Fall

Der klagende Arbeitnehmer war als Koch und Restaurantleiter in einem Gastronomiebetrieb beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete am 31. Dezember 2012. Im Kalenderjahr 2012 hatte der Arbeitnehmer keinen Urlaub beantragt und daher auch nicht erhalten. Nach der bisherigen und gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts war damit der Urlaubsanspruch verfallen. Das war das Ergebnis seiner Auslegung von § 7 Absatz 3 Satz 1 BUrlG. Eine Pflicht zur Urlaubsgewährung gab es nicht.

Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden.

Das Urteil

An dieser Rechtsprechung mochte das LAG Berlin Brandenburg nicht länger festhalten. Es urteilte in seinen Leitsätzen:

Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts besteht ein Anspruch auf Schadensersatz in Form eines Ersatzurlaubs …, der sich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses … in einen Abgeltungsanspruch umwandelt …, nicht nur dann, wenn sich der Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Untergangs des originären Urlaubsanspruchs mit der Urlaubsgewährung im Verzug befand. Vielmehr hat der Arbeitgeber den bei ihm Beschäftigten von sich aus rechtzeitig Urlaub zu gewähren. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, hat er Schadensersatz zu leisten, es sei denn, er hat die nicht rechtzeitige Urlaubsgewährung nicht zu vertreten. Denn mit dem Untergang des Urlaubsanspruchs wird dessen Erfüllung unmöglich, so dass die Beschäftigten … Schadensersatz statt der Leistung verlangen können (Urteil vom 12. Juni 2014 – 21 Sa 221/14).

Die Gründe

Zur Begründung rückte das LAG Berlin Brandenburg die Gesundheit des Arbeitnehmers in den Mittelpunkt. Diese zu schützen sei eine Nebenpflicht des Arbeitgebers aus dem Arbeitsvertrag. Der Arbeitgeber sei aufgrund seiner Organisationsmacht verpflichtet, seinen Betrieb so zu organisieren, dass die arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen eingehalten würden. In diesem Zusammenhang habe der Arbeitgeber insbesondere Sorge dafür zu tragen, dass der Arbeitnehmer die gesetzlichen Ruhezeiten einhalte. Beim gesetzlichen Urlaubsanspruch handele es sich um eine Art Jahresruhezeit, deren Einhaltung der Arbeitgeber zu überwachen habe. Insgesamt treffe den Arbeitgeber daher eine Pflicht zur Urlaubsgewährung.

Die möglichen Folgen: Pflicht zur Urlaubsgewährung?

Die Folgen dieser Rechtsauffassung wären weitreichend: Bisher verfällt der Urlaubsanspruch einfach zum Ende des Jahres, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht geltend macht. Das LAG Berlin Brandenburg sieht hingegen den Arbeitgeber in der Pflicht zur Urlaubsgewährung. Er muss aktiv eine Aufforderung zum Urlaubsantritt an den Arbeitnehmer richten. Wenn er eine solche Aufforderung zum Urlaub nicht ausspreche, habe er es gemäß § 280 Absatz 1 Satz 2 BGB zu vertreten, dass der Urlaub am Jahresende verfalle. Folge hiervon: Der Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf Schadensersatz in Form des Ersatzurlaubs.

Was sagen die anderen zur Pflicht zur Urlaubsgewährung?

Das Echo auf diese Entscheidung war geteilt:

Das Landesarbeitsgericht Köln stimmte der Entscheidung aus Berlin zur Pflicht zur Urlaubsgewährung ausdrücklich zu (Urteil vom 22. April 2016 – 4 Sa 1095/15). Die Klage des Arbeitnehmers wies es dennoch ab, weil sich der Arbeitgeber auf die jahrzehntelange gegenläufige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts habe verlassen dürfen. Auch die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts München pflichtete den Berlinern mit Urteil vom 6. Mai 2015 – 8 Sa 982/14 bei.

Ablehnend äußerte sich das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein mit Urteil vom 9. Februar 2016 – 1 Sa 321/15. Ebenso entschied die 11. Kammer des LAG München mit Urteil vom 20. April 2016 – 11 Sa 983/15 gegen eine Pflicht zur Urlaubsgewährung (und gegen seine 8. Kammer).

Pflicht zur Urlaubsgewährung – Entscheidung liegt beim EuGH

Gegen das Urteil der 8. Kammer des LAG München hat der Arbeitgeber Revision zum Bundesarbeitsgericht eingelegt. Dieses sah sich an einer Entscheidung zunächst gehindert. Es setzte das Verfahren mit Beschluss vom 13. Dezember 2016 – 9 AZR 541/15 aus und befragte den Europäischen Gerichtshof. Dieser hat nun zu prüfen, ob die bisherige Praxis des BAG mit Europarecht übereinstimmt oder ob es tatsächlich eine Pflicht zur Urlaubsgewährung des Arbeitgebers gibt.

Der Entscheidungsvorschlag des Generalanwalts

Es sieht so aus, als könne das BAG seine bisherige Rechtsprechung fortführen. Dessen Generalanwalt hat dem Gerichtshof jedenfalls einen Entscheidungsvorschlag gemacht, der keine Pflicht des Arbeitgebers zur Aufforderung zum Urlaub beinhaltet. Den Arbeitgeber träfen in diesem Zusammenhang vielmehr die folgenden drei Pflichten:

  1. Er muss organisatorische Maßnahmen treffen, die geeignet sind, den Arbeitnehmern die Ausübung ihres Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub zu ermöglichen.
  2. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmern rechtzeitig und klar mitteilen, dass ihr Urlaub möglicherweise verfällt.
  3. Schließlich muss er darauf hinweisen, dass sie am Ende des Arbeitsverhältnisses keinen Abgeltungsanspruch für verfallenen Urlaub erhalten.

Ausdrücklich weist der Generalanwalt jedoch darauf hin, dass der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, seine Arbeitnehmer zum Urlaub zu zwingen.

Praxishinweis

Vermutlich wird der EuGH sich wie meist dem Vorschlag des Generalanwalts anschließen. Auch das würde praktische Konsequenzen für deutsche Arbeitgeber nach sich ziehen. Neu wäre insbesondere, dass er aktiv Informationspflichten zu erfüllen hätte, andernfalls er sich schadensersatzpflichtig macht. Dann müsste er Ersatzurlaub gewähren, obschon der Urlaubsanspruch eigentlich bereits verfallen ist.

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