Verkehrsrecht | 17.08.2022

Unfall beim Überholen – Wer haftet warum in welcher Höhe?

Unfälle beim Überholen ereignen sich täglich.

 

Die gegenseitigen Vorwürfe der Unfallbeteiligten sind regelmäßig dieselben:

 

Überholen unzulässig, nicht geblinkt und/oder nicht zurückgeschaut.

 

Im Anschluss ein kurzer Überblick, wie Fälle dieser Art – rechtlich – zu lösen bzw. zu beurteilen sind.

Unfall beim Überholen - eine kurze Darstellung der Rechtslage anhand eines konkreten Verkehrsunfalls:

Unfall beim Überholen - Der Fall

Die Klägerin befuhr mit ihrem Gespann (Sattelzug und Auflieger) eine Ortsverbindungsstraße, währenddessen der Beklagte mit seinem Pkw dahinter fuhr.

An einer auf die Ortsverbindungsstraße einmündenden Abfahrt wollte die Klägerin nach links abbiegen bzw. in diese einfahren, wobei der Beklagte in diesem Moment überholte.

Infolgedessen kam es zum Unfall beim Überholen, wobei die weiteren Einzelheiten zwischen den Parteien streitig und letztlich nicht aufklärbar waren.

Insbesondere blieb offen, ob die Klägerin

  • den Blinker gesetzt hatte - § 9 Abs. 1 S. 1 StVO
  • der sog. doppelten Rückschaupflicht nachgekommen war - § 9 Abs. 1 S. 4 StVO

OLG Nürnberg - Urteil vom 29.03.2022 - 3 U 4188/21

Den Unfall beim Überholen hatte das OLG Nürnberg zu lösen und kam zu folgendem Ergebnis:

Eine Haftungsquote von 15 % zu 85 % zu Gunsten der Klägerin entspreche dem Gewicht der jeweiligen Verursachungsbeiträge.

Warum?

Auf folgende Erwägungen stützt der Senat seine Entscheidung:

1. Der Beklagte habe gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO - erheblich - verstoßen, was die Beweisaufnahme ergeben habe.

Zum einen sei der Beklagte durch die Sonne geblendet gewesen, zum anderen habe er den Überholvorgang unmittelbar vor einer Rechtskurve begonnen, obwohl die Sicht infolge üppiger Randbepflanzung erheblich eingeschränkt war.

Des Weiteren habe die Klägerin anlässlich des beabsichtigten Abbiegevorgangs ihre Geschwindigkeit erheblich und erkennbar reduziert.

2. Hingegen könne unfallursächliches Fehlverhalten der Klägerin für den Unfall beim Überholen nicht festgestellt werden.

Zwar spreche grundsätzlich ein Beweis des ersten Anscheins für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Linksabbiegers, wenn es in unmittelbarem - zeitlichen und örtlichen - Zusammenhang mit dem Abbiegevorgang zu einem Unfall beim Überholen komme.

Nach den Angaben des Sachverständigen gelte das aber im vorliegenden Fall nicht, weshalb etwaige Verkehrsverstöße der Klägerin nachzuweisen seien.

Allerdings habe der glaubwürdige Zeuge die Erfüllung der doppelten Rückschaupflicht durch die Klägerin bestätigt, was nicht zu widerlegen sei. Überdies spreche viel dafür, dass der Blinker am Fahrzeug der Klägerin gesetzt war.

Danach sei auf Seiten der Klägerin lediglich die - erhöhte - Betriebsgefahr ihres Sattelzugs in die nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG vorzunehmende Abwägung der Verursachungsbeiträge einzustellen - und zwar i. H. v. 15 %.

Unfall beim Überholen - Was man sich grundsätzlich merken kann

Die Entscheidung des OLG Nürnberg ist eine Einzelfallentscheidung mit durchaus bemerkenswerten / überraschenden Ergebnis:

Denn aus § 9 StVO ergibt sich der grundsätzliche Vorrang des entgegenkommenden und gleichgerichteten Verkehrs gegenüber dem Abbieger

OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 28.08.2012 - 22 U 148/11.

Wegen der sich aus § 9 StVO ergebenden, besonderen Sorgfaltspflichten des Linksabbiegers haftet dieser im Falle der Kollision mit einem ordnungsgemäß überholenden Kfz grundsätzlich allein, wobei die Betriebsgefahr des Kfz des Überholers in der Regel zurücktritt

KG Berlin, Urteil vom 15.08.2005 - 12 U 41/05.

Wenn jedoch der Überholende - wie hier - trotz erkennbarer Abbiegeabsicht des Vorausfahrenden (Geschwindigkeitsreduzierung und gesetzter Blinker) und unklarer Verkehrslage (Blendung durch Sonne, eingeschränkte Sicht durch Randbepflanzung und Rechtskurve) überholt, kann das seine überwiegende Haftung zur Folge haben.

Entscheidend sind - wie der vorliegende Fall zeigt - wie immer die Umstände des Einzelfalls!

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