Verkehrsrecht | 15.05.2018

Berührungsloser Unfall: Wer haftet wann unter welchen Voraussetzungen?

1. Auch ein berührungsloser Unfall kann eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG begründen.

2. Die bloße Anwesenheit eines Kraftfahrzeugs am Unfallort reicht aber regelmäßig nicht aus.

Voraussetzung für eine Haftung ist vielmehr, dass der Geschädigte durch die Fahrweise des Unfallgegners zu einer Reaktion veranlasst wird und dadurch ein Schaden eintritt.

 

Dies hat das OLG München, Endurteil vom 07.10.2016, 10 U 767/16, entschieden.

DER FALL:

Der Kläger fuhr mit seinem Kraftfahrzeug zunächst hinter der Beklagten, die plötzlich ihre Fahrt verlangsamte und dann vollständig anhielt.

Als der Kläger links an der haltenden Beklagten vorbei fuhr, zog diese plötzlich nach links, um in eine Grundstückseinfahrt einzufahren.

Der Kläger verriss zur Vermeidung einer Kollision mit der Beklagten sein Fahrzeug nach links, wo er mit einem am Straßenrand abgeparkten Fahrzeug kollidierte.

Zu einer Berührung zwischen dem Kraftfahrzeug des Klägers und jenem der Beklagten kam es nicht.

Fraglich war, ob auch ein berührungsloser Unfall eine Haftung nach  § 7 Abs. 1 StVG begründen kann, der lautet wie folgt:

Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers, der dazu bestimmt ist, von einem Kraftfahrzeug mitgeführt zu werden, ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

DIE ENTSCHEIDUNG:

Das OLG München bejaht eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG dem Grunde nach.

Insbesondere könne sich auch ein berührungsloser Unfall  i. S. v. § 7 Abs. 1 StVG „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ ereignen.

1.

Dies gelte, obwohl ein berührungsloser Unfall vorliege, insbesondere auch für das Kraftfahrzeug der Beklagten.

Denn nach der ständigen Rechtsprechung des BGH sei das Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb“ entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen. 

Ein Geschehen sei demnach dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zuzuordnen, wenn sich die von diesem ausgehende Gefahr auf den Schadensablauf ausgewirkt habe, also das Schadensereignis in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden sei. 

Maßgeblich für die Zurechnung der Betriebsgefahr sei, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs stehe. 

2.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH gelte ferner, dass eine Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG auch dann in Betracht komme, wenn – wie hier – ein berührungsloser Unfall vorliege.

Allerdings reiche die bloße Anwesenheit des Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle dafür nicht aus.

Vielmehr müsse das Kraftfahrzeug durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen haben. Dies könne etwa der Fall sein, wenn der Geschädigte – wie hier – durch den Betrieb eines Kraftfahrzeugs zu einer Reaktion wie z.B. zu einem Ausweichmanöver veranlasst werde und dadurch ein Schaden eintrete.  

PRAXISHINWEIS:

Die Entscheidung entspricht der Rechtsprechung des BGH, u.a.

BGH, Urteil vom 21.01.2014 – VI ZR 253/13

BGH, Urteil vom 21.09.2010 – VI ZR 263/09

Die sog. Gefährdungshaftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird.

Die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen.

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