Verkehrsrecht | 01.03.2017

Ein- und Aussteigen: Wie muss man sich verhalten?

1. Gemäß § 14 StVO muss man beim Ein- und Aussteigen höchstmögliche Sorgfalt walten lassen, um eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen.

2. Ein Verstoß gegen § 14 StVO begründet in der Regel ein so schweres Verschulden, dass die einfache Betriebsgefahr der vorbeifahrenden Fahrzeuge vollständig zurücktritt und von einer Alleinhaftung des Ein- bzw. Aussteigenden auszugehen ist.

 

Dies hat das Landgericht Bielefeld, Urteil vom 09.11.2015, Az. 8 O 281/14, entschieden.

Der Fall:

In dem zu entscheidenden Fall öffnete der Beklagte, nachdem er sein Fahrzeug am Straßenrand geparkt hatte, die Fahrertür, um auszusteigen.

Hierbei kam es zur Kollision mit dem in diesem Moment vorbeifahrenden Fahrzeug des Klägers.

Der Kläger begehrte von dem Beklagten Schadensersatz mit der Begründung, letzterer habe grob gegen sein sich aus § 14 StVO ergebenden Pflichten beim Ein- und Aussteigen verstoßen.

Der Beklagte wendete ein, der Kläger habe beim Vorbeifahren keinen ausreichenden Sicherheitsabstand eingehalten, weshalb jedenfalls nicht von seiner, des Beklagten, alleinigen Haftung auszugehen sei.

Zu Recht?

Nein – das LG Bielefeld verurteilt den Beklagten vollumfassend.

1.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass der Beklagte die Fahrertür unter Verstoß gegen seine sich aus § 14 StVO beim Ein- und Aussteigen ergebenden Pflichten vollständig und unachtsam geöffnet habe, weshalb es zur Kollision gekommen sei.

Beim Ein- und Aussteigen sei eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen, also höchstmögliche Sorgfalt walten zu lassen:

Wer die linke Fahrertür öffnen wolle, müsse zunächst nach hinten beobachten.

Reiche der Rückblick nicht aus, dürfe die Tür zunächst nur langsam und nur spaltweise geöffnet werden. Erst dann, wenn mit Gewissheit niemand komme, dürfe die Tür weiter geöffnet werden.

Dies habe der Beklagte nicht berücksichtigt, sondern die Fahrertür vollständig geöffnet, wiewohl der sich von hinten nähernde Kläger aufgrund des Straßenverlaufs stets erkennbar war.

Dies stehe nach dem vorliegenden verkehrsunfallanalytischen Sachverständigengutachten fest.

2.

Dementgegen könne nicht festgestellt werden, dass der Kläger einen nur unzureichenden Abstand beim Vorbeifahren eingehalten habe.

Beim Vorbeifahren sei ein ausreichender Seitenabstand einzuhalten.

Wie groß dieser Abstand sein müsse, hänge von den Umständen des Einzelfalles ab.

Der Seitenabstand müsse zwar nicht stets 1m betragen, er sei aber im Zweifel groß zu nehmen.

An rechter Hand parkenden, ersichtlich leeren Fahrzeugen könne ein geringerer Seitenabstand eingehalten werden als an besetzten Fahrzeugen, bei denen mit einem Öffnen der Türen zu rechnen sei.

Nach dem verkehrsunfallanalytischen Sachverständigengutachten sei davon auszugehen, dass der Kläger einen Seitenabstand von 80 cm eingehalten habe.

Dies sei aufgrund der örtlichen Gegebenheiten und unabhängig von der Beantwortung der Frage, ob der Kläger den Beklagten wahrgenommen habe, ausreichend.

3.

Das plötzliche, vollständige Öffnen der Fahrertür stelle einen groben Verstoß gegen die Pflichten gemäß § 14 StVO beim Ein- und Aussteigen dar.

Infolge des schweren Verschuldens des Beklagten trete die (einfache) Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs vollständig zurück, weshalb von einer 100 % – tigen Haftung des Beklagten auszugehen sei.

Fazit:

Die Entscheidung des LG Bielefeld entspricht ständiger Rechtsprechung in Fällen vergleichbarer Art.

1.

Mehr zum Thema Ein- und Aussteigen und Seitenabstand beim Vorbeifahren finden Sie hier. 

Entscheidend sind stets die besonderen Umstände des Einzelfalles.

2.

In die nach § 17 Abs. 2 i. V. m. § 17 Abs.1 StVG bei einer Schadensverursachung durch mehrere Kraftfahrzeuge vorzunehmende Haftungsabwägung sind neben der aus § 7 Abs. 1 StVG folgenden Betriebsgefahr nur solche (gefahrerhöhenden) Umstände einzubeziehen, deren Vorliegen feststeht, also unstreitig oder bewiesen sind.

Dabei hat jede Partei, die der anderen ein verkehrswidriges Verhalten vorwirft, den entsprechenden Beweis zu führen.

Hierbei spielen verkehrsunfallanalytische Sachverständigengutachten in der Praxis eine große Bedeutung.

Noch Fragen zu diesem oder anderen Themen des Verkehrsrechts offen? Dann sprechen Sie bitte unseren Partner Ralf Schulze Steinen an!

Ihre Nachricht

Ihre Nachricht wurde gesendet. Vielen Dank!

Sie erreichen und auch telefonisch unter +49 721 / 943114-0.

Bitte beachten Sie folgendes: Durch die Zusendung einer E-Mail kommt noch kein Mandatsverhältnis zustande. Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir ohne vorherige Vereinbarung keine Rechtsberatung per E-Mail erteilen können und keine fristgebundenen und Frist wahrenden Erklärungen entgegennehmen. Die Datenübertragung per Internet ist risikobehaftet. Dies sollten Sie insbesondere bei der Übersendung vertraulicher Informationen bedenken. Sollten wir eine E-Mail erhalten, gehen wir davon aus, dass wir zu deren Beantwortung per E-Mail berechtigt sind.